Meine Reise führt zuerst nach Istanbul – aus gutem Grund: Ich besuche Freundinnen, pflege unser Netzwerk und knüpfe neue Kontakte, um Unterkunftsmöglichkeiten für
unsere zukünftigen Stipendiatinnen zu finden. Mit Lea Willimann, der künstlerischen Leiterin von Fumetto, besuchen wir
zwei Comicfestivals und knüpfen Kontakte in der lokalen Comic- und Cartoonszene.
Ziel ist eine Ausstellung in Kooperation mit türkischen Comiczeichner:innen in Frühjahr 2027. Gleichzeitig eröffnen in Istanbul die Istanbul Biennale, die Gaza
Biennale und das Fringe Festival für darstellende Künste – perfekte Gelegenheiten, Kunst und Austausch zu verbinden. Und wir geniessen die Fährüberfahrten zwischen der
asiatischen und europäischen Seite.
Einen Grossen Dank geht an Onur Dağdeviren, unseren ehemaligen Stipendiaten, bei dem Lea und ich wohnen dürfen. Ein Glück, denn seine Wohnung ist nur zwei Minuten vom Yoğurtçu Park entfernt, wo das Kadıköy Cizgi Festival (Comic-Festival) stattfindet.
Auf Einladung unserer Nominatorin und Freundin Asena Günal von Anadolu Kültür besuche ich in der Galerie Depo die Eröffnung der Gaza Biennale. Die Biennale zeigt Arbeiten von Künstlerinnen aus Gaza in verschiedenen Städten wie New York, Toronto, Berlin, Istanbul und weitere.
«Üç Ayaklı Kedi», auf deutsch die dreibeinige Katze, ist der mehrdeutige Name der 18. Istanbul Biennale. Vom 20.9. – 23.11.25 werden Arbeiten von 47 Künstlerinnen zu den Themen Selbsterhaltung und Zukunft gezeigt. Die Veranstalter nutzen acht öffentliche als auch historische Gebäude, die in Gehdistanz zueinander liegen. Die Biennale ist auf drei Jahre verteilt. 2026 soll als zweiter Teil eine Akademie gegründet werden. Und 2027 sollen Erfahrungen und Recherchen aus den ersten beiden Jahren zusammengeführt werden, die in Ausstellungen und Workshops münden.
Lea und ich besuchen am selben Wochenende die zwei Comicfestivals – das Kadıköy çizgi festival und das und das Istanbul Comics and Art Festival ICAF. Beide Festivals finden draussen bei sonnigem Wetter statt.
Am Kadıköy çizgi festival werden Bücher und Magazine signiert und verkauft. Es werden Animationsfilme gezeigt, Workshops angeboten, man trifft sich und tauscht sich aus. Auch der Nachwuchs ist
präsent. Wir sprechen mit ein paar Zeichnerinnen, die sich zu einer Risoprint-Comicgruppe zusammengeschlossen haben. Signaturen sind in der Türkei sehr beliebt. Es bilden sich lange
Warteschlangen.
Cem Dinlenmiş, der 2024 auf unsere Einladung das Fumetto besucht hat und dessen Cartoons über den syrischen Bürgerkrieg wir diesen Frühling am Fumetto ausgestellt haben, kommt mit seinem Töchterchen Leyla. Er stellt uns Freunden und Bekannten vor, darunter die Comiczeichnerin Semra Can oder Meriç Karçal, den Organisator des Kadıköy Cizgi-Festivals.
Das ICAF hat sich auf Tennisplätzen eingerichtet. An diesem interdisziplinären Festival gibt es Kleinproduktionen von Comics, selbst gestaltete Spielzeuge oder Surfbretter, Posters, Fanzines, Street Art, Workshops und Seminare u.w.. Auf der Bühne finden Künstlergespräche und Konzerte statt. Wir lassen uns von Kerem Ardahan porträtieren, dessen Spezialität «kötü portre» (hässliche Porträts) sind.
Im Karikatür evi (Karikaturenhaus) des Stadtbezirks Kadıköy treffen wir den Comiczeichner Cihan Kılıç, der uns im Archiv einen Einblick in die Geschichte zahlreicher – teils nicht mehr existierender – türkischer Cartoonmagazine gibt. Darunter: LeMan, Gırgır, Penguen, Uykusuz, Bayan Yanı (ein Satiremagazin von Frauen), Naber und Çok dergi. Ich hoffe, er wird sein Wissen und seine Geschichten nach Luzern bringen können. Dann führt Cihan uns in ein Antiquariat für Comicmagazine, das uns in frühere Zeiten versetzt.
Im Schweizer Generalkonsulat haben wir ein herzliches Kennenlerntreffen mit der neuen stellvertretenden Generalkonsulin Monika Horisberger und ihrer Assistentin Eylem Demirkol. Sie sind für die Kultur zuständig. Unter anderem besprechen wir unsere beiderseitigen Interessen und die Möglichkeiten einer Unterstützung.
Wir besuchen die Kunsthistorikerin und Kuratorin Eléonore Varone in ihrer Wohnung mit Bosporusblick in Çihangir. In diesem Jahr hat sie mit ihrer Geschäftspartnerin Duygu Yaman die Plattform secant space gegründet, die ein Residency-Programm und einen Artspace für Künstler*innen anbietet. Wir (secant space und Istanbuluzern) haben beide Interesse an einer Zusammenarbeit.
Serra Yentürk, die Geschäftsführerin von SAHA kennen wir bereits von einem Zoommeeting. Die Organisation unterstützt türkische KünstlerInnen in In- und Ausland. Nun will ich Serra persönlich treffen. Nach durchgearbeiteten Nächten wegen der Biennale Eröffnung ist sie krank und muss kurzfristig absagen. Nun hoffe ich, dass es im Januar klappt, wenn ich wieder in Istanbul weilen werde.
In Çihangir treffe ich den Schauspieler und Filmemacher Ferhat Türkoğlu. Er ist in der Schweiz aufgewachsen und hat in Bern und Berlin Schauspiel und an der an der ZHdK Transdisziplinarität studiert. Nun lebt er seit fünf Jahren in Istanbul, inmitten des Szeneviertels Çihangir. Gerade recherchiert er für einen Dok-Film über Afro-Türken, die die Nachfahren afrikanischer Sklaven in der Türkei sind. Er zeigt mir zwei Airbnb-Wohnungen, die er vermietet. Gerade beherbergt er eine Zürcher Theatergruppe, die am Fringe Festival auftritt. Wir sind beide an einem Austausch und unseren Projekten interessiert.
Es gibt ein fröhliches Wiedersehen mit unseren Istanbuluzern Stipendiatinnen Dilara Tekin, Cem Gezginti und Onur Dağdeviren. Wir ziehen durch Karaköy und sehen uns Ausstellungen der Biennale an.
Gegenüber der Galerie Depo ist die Redaktion des unabhängigen Radiosender Acık radyo, das neu Apaçık Radyo heisst und nur noch online sendet. Ich besuche unseren ehemaligen Nominatoren Ilksen Mavituna. Er ist an einem Residency-Programm des Urban Cafes beteiligt, das das Quartier Beyoğlu kulturell wieder neu beleben will.
Im Lycée Saint Joseph treffe ich den Schuldirektor Paul Georges und die Mitarbeiterin Jennifer Maude. Wenn es für alle passt, dürfen wir einen Stipendiaten/eine Stipendiatin in einer ihrer Einzimmerwohnungen unterbringen. Das Lycée ist an Workshops mit externen Kulturschaffenden interessiert. Ich freue mich sehr mit einem ersten Workshop im Januar starten zu dürfen.
Nach neun Tagen in Istanbul reise ich weiter nach Ayvalık zu unseren Freunden Erdogan und Gabi Altindiş. Erdogan fährt uns mit seinem Elektroroller «Zorro» rasant durch den Markt von Ayvalık – direkt zum Abendessen beim Köfteçi.
Nach vielen Jahren in Istanbul sind Gabi und Erdogan nun in Ayvalık zu Hause und vermieten wunderschöne Wohnungen. Erdogan hat neue Pläne: In einem großen Garten mit Olivenbäumen baut er ein Nutzgebäude zu einer Werkstatt um, in der er Workshops für Kunsthandwerk und vieles mehr für seine Gäste plant. Besucher dürfen einen Olivenbaum taufen – ich entscheide mich einen zweistämmigen Baum Istanbuluzern zur benennen!
In Ayvalık treffe ich auch unsere ehemalige Nominatorin für Musik Filiz Ali zusammen mit ihrem Assistenten Yunus und seiner Mutter. Filiz gründete hier die internationale Musikakademie AIMA.
Nach der ersten kulinarischen Wanderreise mit Yusuf und sechs Gästen im Latmosgebirge besuche ich İrem Nalça im Ferienhaus ihres Vaters in Bademli. İrem war dieses Jahr zehn Wochen unsere Stipendiatin in Luzern. Sie ist den Fasnachtsbräuchen nachgegangen und ist dabei ihr Projekt eines Schattentheaters mit Schauspielern und Live-Musik zu entwickeln. Ich helfe ihr bei der Olivenernte mit und darf das frischgepresste Öl probieren.
Auf meiner zweiten Wanderreise Lykischer Weg Westteil, begleitet von Yunus und Özgür, besuchen wir Kate Clow. Kate hat die alten Wege der Region recherchiert und den Lykischen Weg als ersten Fernwanderweg in der Türkei markiert. Sie gründete die «Culture Routes Society», die sich dem Erhalt, Ausbau und Schutz historischer Wanderwege einsetzt. Wandervögel finden weitere Informationen über die engagierte Gesellschaft auf ihrer Webseite.
Ich freue mich im Januar für den Workshop im Lycée Saint Joseph schon wieder nach İstanbul zu gehen, Freundinnen und die neuen Bekanntschaften wieder zu treffen – und das Nationalgericht Kuru Fasulye zu essen 😊.
Gabi




















































